Julia Käser: Monolog eines Steines
Ich liege hier in einem komfortablen Wohnzimmer.
„Verarbeitet“ bin ich so nennen das die Zweibeiner, die hier wohnen. Hier ist es wirklich gemütlich. Schön warm und trocken. Nicht, dass das für mich von Bedeutung wäre. Ein Stein spürt ja der allgemeinen Meinung nach nur wenig. Und die Zweibeiner, die sich hier so gerne mit mir in einem Raum tummeln wissen ja schon so einiges.
Sie können genau sagen, wann ich entstanden bin. Das war vor langer Zeit in der Oberkreide, als die gesamte Erde noch mit Wasser bedeckt war. Die Zweibeiner wissen ja wirklich sehr viel über diese Zeit. Kaum einen Wimpernschlag meiner Zeit auf der Erde sind sie nun hier. Aber erforscht haben sie die Entstehung, Gegenwart und Zukunft und Gegenwart ihres Heimatplaneten schon ganz genau. Ja sogar woraus ich bestehe wissen sie diese Zweibeiner. Ein Sedimentgestein bin, bestehe also aus Mineralien, die sich nach und nach abgesetzt haben. Dann bin ich über die Jahre zusammengedrückt worden und ausgehärtet.
Und dankt eines frechen kleinen Ammoniten, der sich ganz genau meinen Bauch zum sterben ausgesucht wissen sie vor wie vielen Jahrmillionen ich ausgehärtet bin. Mit Radioncarbon-Methode bestimmen sie das. Gut, dass sie das können. Wäre ja ein Jammer, wenn sie nur so wenig über die Geschichte wissen würden. Ihre eigene ist ihnen wohl zu kurz.
Manchmal wünsche ich aber schon, sie würden mir ein klein wenig mehr zuhören. Mehr, als ein radioaktives Labor kann ich ihnen allemal verraten. Immerhin war ich bei allem live dabei. Ich habe erlebt, wie sich riesige Gebirge aufgeschoben haben. Lange lag ich oben auf solch einem riesigen Berg. Dort oben hatte ich nur selten Besuch. Ich kann mich noch erinnern, als wäre es gestern gewesen, als ich zum ersten mal mit Moos überwuchert wurde. Und auch, als das erste Mal ein Vierbeiner auf mich trat.
Da war ich zutiefst erschrocken. Aber nicht vor Schmerz, denn naja wie schon gesagt fühlen Steine ja nicht so viel.
Aber ich war wirklich überrascht ein an Land lebendes Geschöpf zu sehen. Die Beine waren schon eine wirklich bahnbrechende Erfindung. Da kann man nichts sagen. Seitdem ich diese Vierbeiner das erste Mal gesehen hatte wünschte ich mir, ich hätte auch selber welche. Ich war nun wirklich neugierig geworden. Doch eines Tages wütete hier ein Erdrutsch ganz fürchterlich.
Danach waren lange keine Vierbeiner mehr hier gewesen. Sehr sensibel solche Vierbeiner.
Ab da begann ich mich in Geduld zu üben. Die riesigen Felsenmajestäten um mich herum sind nun schon so viel länger hier als ich. Sie trotzen jeden Sturm, jeder Flut und zur Not sogar Feuer. Das wollte ich nun auch. Bestehen für eine wirklich lange Zeit, dann würde ich schon alles einmal sehen. Früher oder später würden wieder Geschöpfe mit solchen neuen Erfindungen zu uns geraten.
Nun ja tatsächlich dauerte das dann aber doch recht lange, bis sich die nächsten Geschöpfe hierher verliefen und den ersten Zweibeiner erblickte ich erst vor wenigen Jahren, als eine Gruppe Zweibeiner den Weg bis hierauf in die Alpen fanden.
Seit sie da waren haben sich immer mal wieder Zweibeiner hier hoch verirrt. Einer war sogar tatsächlich so dreist mich einfach in seine Tasche zu stecken. Da wusste ich erst mal nicht, was ich davon halten sollte. Immerhin entfernte mich dieser Mensch hier einfach mal so mir nichts, dir nichts von meinen altgewohnten Platz. Ich liege hier schon Tausenden, Millionen von Jahren. Und zwar genau da! Eine bodenlose Frechheit mich einfach einzustecken.
Andererseits habe ich ja auch schon seit langer Zeit von Beinen geträumt. Nun da ich einmal die Chance hatte auf welchen herumgetragen zu werden sollte ich mich ja eigentlich nicht beschweren.
Etwas ernüchternd war der Ausflug aber schon. Da ließ mich dieser Zweibeiner doch tatsächlich begutachten und es stellte sich heraus, dass er mich nur wegen meines hässlichen Flecks am Bauch mitgenommen hatte. Als ob das so was besonderes wäre. Diese Ammoniten waren ja fast schon eine Plage. Ständig hatte ich Angst, dass sich einer mal auf mich setzt. Berechtigt. Dieser hier ist ja sogar mit mir gemeinsam versteinert. Und jetzt sieht es so aus, als ob wir zusammengehören würden. Obwohl es mich ja wohl schon viel länger gibt. Eine solche Fusion hatte ich nie gewollt. Und jetzt bekam dieser Parasit auch noch die Aufmerksamkeit.
Der Zweibeiner schmiss mich einfach in einen Fluss. Von meinem Ausflug war ich wirklich enttäuscht. Aber schon sehr bald wurde ich wieder an Land gespült. Ein sandiges Land. Diese vielen kleinen zersplitterten Steine kamen mir irgendwie unheimlich vor. Was ihnen wohl passiert sein mag? Davon bekommen ich heute noch manchmal Albträume. Insofern war es schon ganz in Ordnung, dass mich schon bald wieder ein Zweibeiner aufhob. Diesmal war es ein Kleiner. Und seine Eltern waren mächtig stolz auf ihn, dass er mich entdeckt hatte.
Na also endlich mal Zweibeiner, die mich zu schätzen wissen. Die würden mich sicher nicht in den Fluss werfen. Ich hatte die Hoffnung der kleine Zweibeiner würde mich vielleicht ein bisschen weiter durch die Welt herumtragen. Und das tat er auch. Diesen Zweibeiner mochte ich wirklich gerne. Mit seinen Beinen trug er mich überall herum. Als hätte er genau gewusst, dass ich es mir wünsche.
Aber dann kam dieser Tag, an dem sie mich „verarbeiteten“. In einem Steintisch. Unglaublich, dass sie mir das antun. Und noch schlimmer. Sie legen mich so hin, dass alle nur meinen Bauch sehen konnten. Wie gemein. Meine Problemzone verstecke ich sonst so gut es geht. Das ist demütigend. Ja ja Steine haben ja keine Gefühle. Die Menschen wissen das. Die wissen ja alles.
Und trotzdem denken sie immer noch, ich wäre von ganz allein an diesen Strand gespült worden. Banausen. Ich bin Ausländer. Ein Exot. Von ihnen hat es noch kaum jemand so tief ins Gebirge geschafft wie ich. Ein bisschen Respekt wäre da schon nett. Aber ich versuche mich zu beruhigen. Weglaufen kann ich ja sowieso nicht. Jetzt, wo der Kleine mit den Beinen mich verraten und im Stich gelassen hat. Ich kann nur noch abwarten genau wie die Bergmajestäten. Wenn ich an sie denke habe ich wieder Hoffnung.
Auch ich werde das alles hier überstehen. Diese undankbaren Zweibeiner sind noch nicht sehr lange hier auf der Erde. Aber sie sind schon jetzt große Verschwender. Früher oder später würden sie den Tisch wegwerfen. Er würde irgendwann wieder draußen landen in der großen weiten Welt. Und dort werde ich weiterbestehen. Werde live mitbekommen, wie sich die Erde weiter verwandelt. Ja das ist ein kleiner Trost. Denn ich denke das würden sich die Zweibeiner hier mindestens genauso sehr wünschen, wie ich mir ihre Beine.
Julia Käser
-Alle Rechte liegen bei der Autorin-