Begegnung mit Eurem TotemtierSchreibaufgaben

Sonja Nagel: Die Hausaufgabe

Martin stieß die Haustür auf, schleuderte seine Schultasche in die Flurecke und verschwand in seinem Zimmer. Seine zwei Jahre ältere Schwester Sophia, die mit ihrer Mutter in der Küche das Mittagessen bereitete, schaute ihre Mutter an, zuckte mit den Schultern und sagte: „Was ist denn mit dem heute los? Zurzeit ist er unausstehlich“. Die Mutter bestätigte es kopf nickend und schaute ihrem Sohn besorgt nach. Martin wurde zum Essen gerufen. Die kleine Familie saß schweigend am Tisch. „Schmeckt es Dir nicht, du stocherst so im Essen rum?“ Sein Blick haftete auf dem Eintopf. „Doch schon.“ „Aber?“ Seine Mutter runzelte die Stirn. Martin maulte, atmete tief ein und sprudelte los. „Heute haben wir eine voll blöde Hausaufgabe in Kunst auf bekommen. Wir sollen ein Totemtier modellieren, von mir selbst oder von einem der Familie. Keine Ahnung, wie ich das machen soll, habe echt keine Lust dazu. Totem, so´n Quatsch, die mit ihrem Zauberkram“. „Was habt ihr denn gerade für ein Thema?“ unterbrach Sophia. „Kunst von Ureinwohnern, Indianer, Aborigines und so.“ „Klingt doch interessant“ „Das ist Schwachsinn.“ Sophia hatte kein Verständnis. „Stimmt nicht! Du hast nur Deine blöden Computerspiele im Kopf, wo ihr Euch gegenseitig abschlachtet. Das ist Schwachsinn!“ Martin reagierte gereizt. „Hast sowieso keine Ahnung davon, Deine Voodoo Zaubermärchen sind auch nicht viel besser“ Die Mutter hatte den Streit beenden wollen und gab Sophia recht. „Man muss sich auch mal mit Dingen auseinandersetzen, die einem nicht so liegen. Ist im Leben später auch nicht anders.“ Martin verdrehte die Augen. Herausfordernd sah Sophia ihren Bruder an. „Soll ich Dir vielleicht dabei helfen?“. „Von mir aus. Muss aber bis nächste Woche fertig sein.“ „Wann wollen wir loslegen?“. „Oh Mann, nagele mich nicht gleich wieder fest. Ich hab jetzt keinen Bock drauf!“ Martin stopfte sich den Mund voll. „Es ist Deine Hausaufgabe und nicht ihre.“ konterte die Mutter. Das war Martin zu viel. Er schurrte seinen Stuhl vom Tisch und ging mit einer abwinkenden Handbewegung in sein Zimmer.

Die Mutter rührte auf ihrem Teller „Was ist eigentlich ein Totem?“ „Naja“ Sophia stellte die Ellenbogen auf dem Tisch, riss sich ein Stück vom Brötchen ab und kaute. „Im ursprünglichem Sinne bedeutet es, sich Seelenverwandt fühlen mit etwas. Die Indianer sind zum Beispiel davon überzeugt, dass ein Tier ein Urahn von ihnen ist. Es ist eine Art Kult für ein Clan oder für einen Stamm, der sein heiliges Tier verehrt. Trotzdem hat jeder Einzelne des Stammes auch sein Totemtier, was man auf den Totempfählen wieder findet.“ Sophia fühlte sich gut ihrer Mutter etwas zu erklären. Martin hatte Sophias Hobby immer nur belächelt und tat es als uncool ab. „Mama, hast du auch ein Lieblingstier?“ Die Mutter überlegte kurz. „Also ich mag Elefanten. Wenn ich diese majestätischen Tiere sehe, dann bekomme ich eine Gänsehaut. Euer Vater übrigens liebte Katzen über alles.“ „Wirklich? Hätte ich gar nicht gedacht. Ich liebe Meeresschildkröten“ Sophia lächelte und nahm die leeren Teller mit in die Küche. Sie hörte noch wie ihre Mutter rief „lass Deinen Bruder auch etwas machen, er wird nicht dümmer davon“. Die Mutter hörte nur noch ein „JaJa“ von ihrer Tochter.

Sophia kramte ihren Ton aus der Tüte und formte eine Schildkröte. Sie liebte diese urzeitlichen Tiere. Jedes Panzerteilchen bekam sein eigenes Muster. Dabei dachte sie an die Worte ihrer Mutter und wünschte sich, dass der Vater ihr zusah. Sie betrachtete ihr kleines Kunstwerk und stellte es zum Trocknen auf das Regal. Es vergingen ein paar Tage, als Sophia ihren Bruder fragte, ob er nicht mit der Hausaufgabe anfangen wolle. Sophia prahlte „Ich habe mein Tierchen schon lange fertig.“ „Na, dann brauch ich ja keins mehr machen“ motzte Martin zurück. Mit verschränkten Armen stellte sich Sophia gegen ihren Bruder. „Wir wollten es zusammen machen, schon vergessen?“. Martin ging in sein Zimmer und holte einen Zettel. „Wo ist denn nun Deine Gans?“ „Was für eine Gans?“ „Wenn Du im Januar Geburtstag hast, ist dein Totemtier die Gans, so verlangt es meine Lehrerin.“ Ich hab keine Gans geformt und es ist auch nicht mein Totem.“ Martin nahm die noch nicht ganz getrocknete Figur vom Regal in die Hand. „Wieso willst du immer etwas anderes sein, als du bist? “ Sophia machte einen Schritt auf Martin zu und wollte es ihm aus der Hand nehmen. Dabei ließ er es fallen. „blöde Gans“ beleidigte er seine Schwester und schlug wütend die Tür zu.

Sophia saß betroffen auf dem Boden und sah auf die zerbrochene Tonfigur. In ihrem Kopf hämmert es. Dabei hatte sie ihrem Bruder nur bei seinen Hausaufgaben helfen wollen. Tränen rollten ihr übers Gesicht. Sie wusste nicht, ob sie über die Beleidigung oder über ihre zerbrochene Tonfigur traurig war. Sie wischte sich ihre Tränen vom Gesicht und sammelte die Bruchstücke auf. Sie klopfte leise an die Zimmertür ihres Bruders. Er saß vorm Bildschirm und spielte wie so oft stundenlang ein Online-Computerspiel wo es um Kriegsführung und Taktik geht. Er beachtete sie nicht. Sie sprach ihn dennoch an „Du hattest mir nicht gesagt, dass es sich um die Totems eines indianischen Horoskops handelt. Du hättest meins nicht zerstören müssen.“ Martin atmete genervt durch. „Tschuldigung wegen der –blöden Gans- und der kaputten Kröte“ Martin sah dabei nicht vom Bildschirm. „Wenn du dich für Totems interessieren würdest, wüstest du, dass man kein Horoskop benötigt“ Martin unterbrach endlich das Spiel. „Meine Lehrerin hatte das aber gesagt“ „Kann schon sein, du hast es mir aber nicht gesagt, bist neulich einfach abgehauen, obwohl es dein Problem war.“ „Ist ja auch egal, ich schaffe es sowieso nicht mehr und fange dann wohl eine sechs“ Sophia setzte sich auf Martins Bett. „Du hättest ja auch mitmachen können. Was bist du denn nach dem indianisches Horoskop?“ „Nach dem blöden Zettel hier, bin ich ein Hirsch – ich glaube aber an diesen Hokuspokus nicht. Seelenverwandt, alles quatsch.“ „Vielleicht ist ja doch etwas Wahres dran?“ Sophia stand auf und sagte „Lies selber nach, im Internet steht alles.“ Martin rief ihr nach „und wieso gestaltest du dich als Schildkröte wenn dein Horoskop eine Gans ist?“ „Weil mich Schildkröte faszinieren und ich ihr Wesen verstehen kann. Ich bekomme Herzklopfen wenn ich sie sehe. Vor einer Gans hab ich Angst.“ Martin lachte sie aus. Sophia lächelte ihm verschmitzt zu „Du bist eben ein geborener Hirsch, was im übrigen voll auf dich zutrifft, benimmst dich aber wie ein Hornochse. Wirst ja wohl ein Lieblingstierchen haben. Deine Lehrerin wird’s schon verstehen.“ Sophia hatte das Zimmer verlassen. Sie machte sich daran eine neue Schildkröte zu formen und war froh, dass sie sich mit ihrem Bruder halbwegs versöhnt hatte.

Am Abend klopfte Martin an Sophias Tür. Er stand auf der Schwelle und hatte seine Hände auf seinen Rücken. Er schielte zu Sophias neuer Schildkröte, die noch schöner war als die erste. „Was hast du da?“ fragte sie. „Aber nicht lachen“ forderte Martin unsicher. Martin hatte auf seiner Hand eine kleine Tonfigur. Sophia strahlte übers ganze Gesicht. „Katzen sind Deine Welt?“ „Naja das Wesen von Katzen mag ich schon.“ „Die ist total schön.“ schwärmte Sophia. „Die anderen lachen mich bestimmt aus!“ zweifelte Martin. Sophia war gerührt von ihrem Bruder, der endlich etwas preisgab was sie schon lange wusste. „weißt du die anderen werden morgen alle ihre Tierchen mitbringen.“ „Ja, aber nur von ihrem Horoskop“ „Dann sag ihnen, dass du mit einem Hirsch nichts anfangen kannst und dass Katzen megacool sind. Dir wird schon etwas einfallen.“ baute ihn seine Schwester auf. Ich habe auch schon etwas über Katzen im Internet gefunden und aufgeschrieben.“ Martin machte eine kurze Pause. „Wollte mich noch mal entschuldigen. Muss auch zugeben, dass die Indianer schon was draufhaben. Ich habe nämlich bei der Suche im Internet etwas über ihre Waffen gelesen und wie sie sich verteidigt haben gegenüber den Weißen.“ Sophia sah ihren Bruder mit großen Augen an. Sie stand auf und zog ein Buch aus ihrem Regal und gab es ihm. Hier findest du fast alles über ihre Waffentechnik, Geschicklichkeit und Stammeskämpfe. Sie haben sich leider auch untereinander bekämpft. Martin nickt “Jaja schon klar, danke noch mal, wusste gar nicht, dass sich mein Schwesterherz für Waffen interessiert. Wenn Du willst, dann zeig ich Dir auch etwas über Waffen, allerdings aus der heutigen Zeit.“ Sophia zuckte mit den Schultern und überlegte kurz. „Ok, warum nicht.“ Er nahm das Buch und verschwand. Sophia lächelte in sich hinein und murmelt vor sich hin: „mein cooler Bruder liebt also auch Katzen“.

Sonja Nagel
-Alle Rechte liegen bei der Autorin-

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