Jugendbuch

Jane Teller: Krieg – Stell dir vor, er wäre hier

Welches Jugendbuch kommt in einer überregionalen Zeitung wie dem Tagesspiegel mit einem vierspaltigen Bericht als Aufmacher in den Kulturteil? In der Regel fristen Kinder- und Jugendbücher ihr Dasein in einem besonderen Reservat der Literatur. Jane Tellers „Krieg – Stell dir vor, er wäre hier“ ist aber gleich nach Erscheinen im Zentrum der Aufmerksam gelandet. Dabei ist es nur so groß wie ein Reisepass und mit 64 Seiten, großzügig illustriert, auch im Textumfang eher gering. Die poetische Idee ist kaum mehr als ein Gedankenexperiment: Was wäre mit dem jugendlichen Leser, wenn er nicht auf der Sonnenseite des Lebens stünde? Oder eben von der Sonnenseite durch politisches Schicksal an den Rand katapultiert wird? Eben noch war der Vater Bundestagsmitglied, aber Deutschland wollte nicht mehr bei Europa mitmachen, weil es „auf Dauer (nicht) für alle anderen bezahlen (konnte); die nichts anderes wollen, als streiken und Rotwein trinken.“ Ist dann Deutschland am Krieg schuld oder sind es die Nachbarländer, die gewaltsam die Europäische Union zu erhalten suchen? Für die demokratischen Kräfte jedenfalls wird es Zeit Deutschland zu verlassen. Man sieht, was mit denen wird, die nicht daran glauben. Die Familie, des mit Du angesprochenen Lesers, sucht ausgerechnet in Ägypten Asyl, wo man den Frauen vorwirft, sich nicht anpassen zu wollen. Zwei Jahre lang leben sie im Lager mit Franzosen, von denen sie glauben, dass sie es waren, die Deutschland in diese Lage gebracht haben. Zwei Jahre lang gibt es keinen Arabischunterricht, denn den bekommt man erst, wenn der Asylantrag genehmigt ist. Zwei Jahre lang, in denen man nicht einmal weiß, wohin man aus dem Lager umgesiedelt wird, wenn Ägypten bereit ist, Schutz zu gewähren. Schließlich kommt man nach Assuan, wo die akademisch gebildeten Eltern beginnen, selbstgebackenen Kuchen zu verkaufen, um über die Runden zu kommen und sich damit die Feindschaft der ägyptischen Bäcker zuziehen.

Jane Teller ist radikal. Mit einfachen Abläufen konfrontiert sie die Leser mit ihren Vorurteilen und ihrem Unwissen über die Flüchtlingsproblematik. Sie versucht, Emotionen außen vor zu lassen, um individuellen Emotionen im Leser Raum zu geben. Die dänische Originalfassung entstand bereits 2001, veröffentlicht in einer Lehrerzeitung. Für die Übersetzungen war klar, dass sie an die besondere geopolitische Situation im jeweiligen Land angepasst werden mussten. Für Deutschland ist dafür der wirtschaftlich-soziale Zusammenbruch der EU als Szenario gewählt. Eine Situation, die Deutschlands Geschichte ebenso entspricht wie tatsächlichen Gefahren, aber zugleich vermeidet, frühere Kriege nachzustellen.

Die Illustrationen stammen von Helle Vibeke Jensen, die die Collagetechnik nutzt und arabische Schriftzeichen aufgreift, um sowohl den authentischen als auch den künstlerischen Zugang zu ermöglichen.

„Krieg – Stell dir vor, er wäre hier“ von Jane Teller ist im Hanser Verlag für 6,90 Euro erschienen.