Walter Nigg: Teresa von Avila. Eine leidenschaftliche Seele

In einem dem 1947 erschienenen Band Große Heilige entnommenen Essay porträtiert Walter Nigg die spanische Mystikerin Teresa von Avila (1515 – 1582). Walter Nigg lebte von 1903 bis 1988, war Professor für Kirchengeschichte in Zürich und wirkte als protestantischer Pfarrer. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher über Heilige, Ketzer und Mystiker, aber auch über Philosophen, die sich in ihrem Werk zentral mit religiösen Fragen auseinandersetzten, wie Kierkegaard oder Nietzsche.

In vier Kapiteln schildert Nigg Leben und „Seelengeschichte“ der Teresa von Avila. Eine Seelengeschichte, die von dramatischen Einschnitten geprägt ist.

Der beinahe lebenslang dauernde Kampf, Gott zu erreichen, mit ihm zu reden, verleiht, so Nigg, „ihrem Dasein die aufwühlende Eigenart“.

Nicht ganz zwanzigjährig flieht Teresa aus dem Elternhaus, um gegen den Willen ihres Vaters in einen Karmeliterinnenorden einzutreten. Im Kloster folgen lange Jahre voller Selbstzweifel, seelischer Konflikte und Krankheiten. Teresa entdeckte dabei „die Gesetze der Schwerkraft der Seele […], so wie ihr Zeitgenosse Kepler jene des Körpers gefunden hat“. Herbeigerufene Ärzte erkennen ihre rätselhaften Krankheiten nicht und als Höhepunkt nervlicher Störungen und den daraus resultierenden körperlichen Folgen wird Teresa von einem mehrtägigen, starrkrampfähnlichen Zustand befallen. Im Klosterhof wird bereits ihr Grab geschaufelt, erst im letzten Augenblick erwacht sie und entgeht dem Schicksal, lebendig begraben zu werden.

Ihr „mühseliger Zickzackweg, der Gott sich näherte und zugleich sich von ihm entfernte“ endet erst, als sie unvermittelt bei dem Anblick eines blutigen Bildes von Christi Geißelung weinend zusammenbricht. Danach beginnt für Teresa „ein anderes, neues Buch, oder vielmehr ein neues Leben“, wie sie selbst schreibt. Es fiel „von dem Feuer der glühenden Pfanne“, als die sie Gott empfand, ein Fünklein in ihre Seele und entfachte einen ungeheuren Brand. Im inneren Gebet fand sie Zugang zu einer überirdischen Wirklichkeit, zu einer mystisch-ekstatischen Kommunikation mit Gott, die sich ohne Worte vollzieht. Gott erwählt sie gar zu seiner „Braut“, es kommt zur „mystischen Ehe“, die sich äußerlich sichtbar in dem rätselhaften Phänomen der Levitation zeigt: Teresa hebt buchstäblich ab, wiederholt schwebt ihr Körper frei über dem Boden.

Dennoch ist dieses kleine, schmale Buch Teresa von Avila – Eine leidenschaftliche Seele nicht bloß Lektüre für katholische Spinner oder Menschen mit besonderem Interesse an Kirchen- und Klostergeschichte. Dafür ist die Vita Teresas zu außergewöhnlich. Zum anderen bezieht Nigg in seine essayistische Darstellung immer wieder literatur- und kulturgeschichtliche Querverweise mit ein. So macht er z.B. darauf aufmerksam, dass die Schilderungen, die Teresa von ihren Ekstasen gibt, eine auffallende Ähnlichkeit mit den Ausführungen Dostojewskijs über die epileptischen Anfälle seiner jesusähnlichen Romanfigur Fürst Myschkin in „Der Idiot“ haben.

Walter Niggs Essay erschien im Diogenes Verlag.