Tonke Dragt / Annemarie van Haeringen: Was niemand weiß
Ein Bilderbuch ist immer mehr als die Summe seiner Worte, möchte man sagen, wenn man das Kinderbuch der berühmten Autorin Tonke Dragt aus den Händen legt.
Zunächst einmal meint man, Tonke Dragt will die Geschichte von der Arche Noah und der Sintflut erzählen. Aber sie webt darin eine alte Sage über die Einhörner ein. Diese ebenso fabelhaften wie stolzen Tiere lehnen es nämlich ab, auf der Arche eingepfercht zu werden und schwimmen nebenher. Auf ihren Hörnern, die weit über das Wasser ragen, suchen die Vögel Zuflucht, bis die Einhörner die Kraft verlässt. Tonke Dragt erspart ihr Ende den Kindern nicht, aber sie erzählt wie es mit ihnen auf dem Meeresboden weitergegangen sein könnte und was die Wikinger über den Narwal vermuten, um dann fast schon wieder in der Gegenwart mit dem steigenden Meeresspiegel zu landen, in der der Narwal vielleicht Lust haben könnte, sich ebenso zu verwandeln wie es die Einhörner getan haben.
Wenn Tonke Dragt in ihren erzählenden Kinderbüchern manchmal weit ausholt, um Poesie aufleben zu lassen, so zeigt sie hier, wie wenig Worte und Motive alter Mythen ausreichen können, um Zeiten zu umspannen und vom Werden und Vergehen zu sprechen. Sie erspart selbst den jüngsten Lesern nicht die Auseinandersetzung mit dem Tod, und zeigt trotzdem, dass sie an das Leben glaubt.
Ebenso sparsam wie Tonke Dragt erzählt, hat Annemarie van Haeringen ihr Buch illustriert.
Weite Flächen in sparsamer Farbigkeit fangen die Landschaft und Atmosphäre ein, in der sich Mensch, Tier und Fantasie behaupten und entwickeln.
„Was niemand weiß“ ist im Verlag Freies Geistesleben bereits 2008 erschienen.