Richard Morgiève: Kleiner Mann von hinten
Man könnte meinen, was geht einen die Geschichte eines kleinen, polnischen Juden und einer nur um einige Zentimeter größeren Französin, die keinen Liebesbrief unter 30 Fehlern zustande bringt, 1942 in der südfranzösischen Provinz an. Doch Richard Morgiève erzählt die Liebesgeschichte seiner Eltern mit so viel Zuneigung und Charme, dass man sich ihr nicht zu entziehen vermag. Er schlägt nicht die großen Töne an, sondern lässt die Liebe mit der Kriegs- und Nachkriegszeit in Frankreich in seinem melancholischen Erzählton verschmelzen und in unsere heutige Zeit hineinschwingen. Stephanè ist ein mit allen Wassern gewaschener Lebemann. Er nimmt, was ihm zufällt und versteht es, sich daraus nicht weniger als eine ganze Welt zu bauen. Er verliebt sich in die einfache Andrèe, obwohl er auch anderen Lieben nicht abgeneigt ist, doch um ihre Hand hält er an, nachdem sie ihn mit einem Flittchen erwischt und sie ihn nicht mehr wieder sehen will. Er betreibt in den Wäldern der Provinz einen gut florierenden Schwarzhandel und versteht es, ihm den Anspruch der Befreiung Frankreichs von Hitler zu geben und nach dem Krieg eine riesiges Bonbon- und Pralinen-Unternehmen daraus zu entwickeln. Trotzdem wohnt in ihm die Angst vor dem Verlust und der Armut, nicht zuletzt dann, wenn ihm seine Frau ängstlich gesteht, dass sie wieder ein Kind erwartet. Doch was auch passiert, das kleine Paar scheint von den Wellen des Lebens hin und hergeworfen, aber dennoch immer wieder aufeinander zuzutreiben. Und das ganz besonders, als Andrèe die tödliche Diagnose Krebs erhält. Gerade sie, die sich ein Hütchen nach dem anderen kaufte, die sich schminkte und schmückte – sie kann den Verfall nicht zurückdrängen. Aber gerade da liebt sie ihr kleiner Pole vielleicht am meisten.
„Kleiner Mann von hinten“ gehört seit Jahrzehnten zu den Lieblingsbüchern der Franzosen und der schwungvollen Übersetzung von Barbara Heber-Schärer und Claudia Steinitz scheint es zu danken, dass auch die eher abgeklärten Deutschen sich dem Charme dieses Buches nicht werden entziehen können. Auf merkwürdig anmutige Weise gelingt es dem Erzähler Morgiève in die Rolle seiner Figuren zu schlüpfen und trotzdem seine Familiengeschichte ganz persönlich zu präsentieren, weil er an die Macht der Liebe und der Literatur glaubt.