Petra Anwar / John von Düffel: Geschichten vom Sterben
Was für ein grausames Thema! Was für ein großartiges Buch!
Jeder wird früher oder später mit dem Tod konfrontiert. Es sind Konfrontationen, die hoffentlich selten bleiben. Für manche sind es Konfrontationen, die sie zu meiden suchen. Aber genauso viele wissen, dass der Tod Teil des Lebens ist und um sich für das Sterben von Angehörigen, Freunden oder gar das eigene Sterben zu wappnen, wird auch die Literatur befragt. Es ist kein Thema, dem die Verlag offen gegenüber stehen, aber es finden sich Veröffentlichungen. Nach meiner Kenntnis bleiben sie alle hinter dem Buch zurück, das jetzt im Piper-Verlag erschienen ist.
Petra Anwar arbeitet als Sterbebegleiterin für die Organisation „Home Care“ in Berlin. Sie ist Palliativmedizinerin und betreut Schwerstkranke und ihre Angehörige zuhause. Durch den Film „Halt auf freier Strecke“ von Andreas Dresen, in dem sie sich selbst spielte, wurde sie einem Millionenpublikum bekannt. Trotzdem ist sie niemand, der nach Aufsehen strebt. Jetzt hat sie mit Unterstützung des Schriftstellers John von Düffel ihre „Geschichten vom Sterben“ in einem Buch zusammengefasst.
Darin schildert sie Familien, die ihre krebskranken Angehörigen für Wochen, Monate oder Jahre bei sich aufnahmen, um ihnen ein würdevolles Sterben zu Hause zu ermöglichen. Als ihre Aufgabe in diesem Prozess sieht sie es, dem Sterbenden bis zuletzt Selbstbestimmung zu ermöglichen und den Angehörigen zu stützen und ihnen zu erklären, welche Prozesse im Kranken ablaufen. Ermutigend ist es zu lesen, dass die Palliativmedizin wenn möglich u.a. mit Morphin und Schmerzpumpe genügend Mittel an der Hand hat, Qualen auszuschalten. Viel mehr leiden die Patienten unter dem Verlust von Selbständigkeit und Würde.
Der überwiegende Teil von Petra Anwars Geschichten ist den stillen Helden des Alltags gewidmet. Der alten Frau in ihrer Kittelschürze, die ihren Alltag selbst bewältigen will oder der wieder schwangeren Mutter von 4 Kindern, die die todkranke Schwägerin aufnimmt und ihre jugendliche Tochter adoptiert. Sie und viele andere arbeiten mit der Ärztin und dem Pflegedienst fast freundschaftlich zusammen. Zwei Geschichten erzählen aber auch von Familien, in denen trotz der Aufnahme der Kranken, die Sozialkompetenz auf der Strecke geblieben ist, in denen die Ärztin an Nachlässigkeit und Gewalt verzweifelt. Besonders berührend ist am Ende des Buches der Bericht der Ärztin über den Tod ihres eigenen Vaters 600 km weit von ihrer Arbeitsstätte.
Medizinisches Faktenwissen wird in den Geschichten zwangsläufig erwähnt, bleibt aber so randläufig, dass es kaum zum Ratgeber werden kann. Dafür hat die Ärztin noch einen kleinen Anhang beigefügt, der die ersten Schritte zeigt, die Sterbende und ihre Familie einleiten könnten.
Petra Anwar und John von Düffel John, (1966) Schriftsteller und Dramaturg am Deutschen Theater in Berlin, ist mit „Geschichten vom Sterben“ (978-3492055772) ein ganz großes Buch über das Leben, die Liebe und ihre kleinen und großen Helden gelungen, das jeder lesen sollte.
Es ist im Piper-Verlag 2013 für 19,99 Euro erschienen.