Belletristik

Michael Kramer: Einmal blüht die Herbstzeitlose

Vor Kurzem klang im Feuilleton wieder die Debatte an, ob man über das Hildesheimer oder Leipziger Institut zum Schreiben finden kann. Ist es da nicht nur der bürgerliche Mittelstand, der seine Prosa und Lyrik perfektioniert? Michael Kramer hat über einen Schreibwettbewerb ins Schreiben gefunden, keinen der großen und reißerischen, sondern einen kleinen. Über unseren Schreibfeder-Schreibwettbewerb vor gut zehn Jahren. Doch auch das kann nicht die Wahrheit sein.

Wenn wir seine Einsendungen lesen, dann spüren wir sofort: Das sind Geschichten, wie wir sie nur von jemandem lesen können, der über das Leben ins Schreiben gefunden hat. Über ein Leben, wie es die Mittelstandsbürger führen; aber auch jene führen, die durch ihr Alter, durch Krankheiten oder anderes eher schon an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, sich aber dennoch behaupten. Darum finden seine Lesungen in und um Göppingen auch regen Zulauf von einem Publikum, das man so geballt auf Lesungen nicht so vertreten sieht. Für sie hat Michael Kramer in seinen kurzen, aber tiefen Texten genau den richtigen Ton gefunden. Er erzählt von alten Damen, denen das Seniorenheim so gar keine Alternative bieten kann und die dennoch gerade dort noch einmal Herzklopfen erleben können. Er erzählt von allein erziehenden Vätern, denen einfach nicht die passende Mutter-Kind-Kur angeboten werden kann, von Wunscheinlösung ganz am Ende einer langen Ehe und vielem mehr. Immer gelingt es dem Autor, das Wesentliche seiner Figuren auch dem Leser sichtbar zu machen. Ihre kleinen Schrullen liebenswert zu gestalten. Das Spannende in den Momenten ihres Alltags zu enthüllen. Der Leser fiebert mit den beiden alten Damen mit, die ihren einstigen Liebhaber wiedertreffen. Für welche von beiden wird er sich entscheiden? Oder gelingt es gar einer von beiden, seinem Schwindel einen Riegel vorzuschieben? Michael Kramer gelingt es, voller Achtung zu erzählen, die Prise Humor einzustreuen und manchmal auch zu fabulieren. Teilnehmer von unseren Schreibwettbewerben werden viele Siegertexte wiederfinden und sich über Neues dazu freuen. Darüber hinaus ist es vor allem ein Band für die Generationen ab etwa 1970 und davor, den man sich selbst kauft, um mehr vom Alltag der Menschen um sich herum zu erfahren oder den man guten Bekannten und Freunden mitbringen kann.

Fazit: Wenn man einmal vom nur schwer zu ertragenden Titel absieht, ist es wieder einmal ein Band mit Erzählungen, für die man sich jederzeit zwischendurch Zeit nehmen kann und die es verdient hätten, dass der Verlag bei der Neuherausgabe ein wenig großzügigerer mit der Kommadose oder den Zeichen der wörtlichen Rede würzt. „Einmal blüht die Herbstzeitlose“ (ISBN: 978-3942635073) ist Ende 2013 für 9,90 Euro im Verlag Candela erschienen.