John Boyne: Der Junge im gestreiften Pyjama
Vor einigen Jahrzehnten hat Adorno Aufsehen mit seiner These erregt, über Auschwitz zu schreiben sei barbarisch. Jetzt ist ein einzigartiges Buch eines 1971 geborenen Iren erschienen, das eine neue Frage aufwerfen könnte: Kann man über Auschwitz erfundene Geschichten erzählen?
Der Autor stellt den neunjährigen Kommandantensohn Bruno in den Mittelpunkt des Geschehens. Unversehens muss er 1942 sein geliebtes Berliner Zuhause verlassen und mit seiner Familie nach „Aus-wisch“ ziehen, wo es nichts gibt, was Kinder brauchen: keine Großeltern, die mit ihnen Theater spielen, keine Freunde, keine Obst- und Gemüse-Stände, einfach gar nichts. Brunos größter Wunsch ist es, später einmal Forscher zu werden. Und so lässt er sich von seinem Heimweh auch nicht lange bedrücken, sondern beginnt den Weg entlang des unendlich langen Stacheldrahtzaunes zu erforschen und begegnet dort dem gleichaltrigen Schmuel. Auch Schmuel, der Junge im gestreiften Pyjama, ist in Auswitsch unglücklich und vermisst seine polnische Heimat. Auf dieser gemeinsamen Basis entwickelt sich eine seltsame Freundschaft der Jungen. Bruno kann mit Schmuel nicht wie mit seinen Berliner Freunden spielen, denn der Zaun trennt ihre Lebenswelten. So treffen sich die beiden Jungen fast jeden Tag nur, um zu reden. Und selbst das Reden ist nur ein vages, kindliches Annähern an eine gegenwärtige Situation, um die sie Erwachsene scheinbar nicht befragen können und dürfen.
Boyne erzählt eine sehr warmherzige Geschichte aus der kältesten Zeit Deutschlands. Das gelingt ihm, weil er die Perspektive des neunjährigen Bruno einnimmt. Neben vielen anderem kann man sich fragen, ob es kindliche Unschuld in Auschwitz geben konnte. Der Autor selbst scheint keine grundsätzlichen Fragen stellen zu wollen. Er akzeptiert das ansatzweise Erahnen des kindlichen Schweigens. Er lässt seine kindlichen Helden Fehler machen und einander dennoch verzeihen, ohne große, aber mit ehrlichen Worten.
„Der Junge im gestreiften Pyjama“ hat inzwischen vor allem viel Lob, entscheidende Preise, aber auch Widerspruch geerntet. Es ist ein Buch für jugendliche und erwachsene Leser, die sich auf eine vordergründig berührende Parabel aus der Nazi-Zeit einlassen können ohne Details haarspalterisch zu befragen. Diese Buchliebhaber werden es an einem Wochenende auslesen und lange darüber hinaus im Kopf und Herzen mit sich tragen.