E. R. Frank: Ich bin Amerika
Dreh- und Angelpunkt dieses Jugendbuchs ist in jedem Fall der jugendliche Hauptheld namens Amerika, der zur Handlungszeit des Romans seinem Therapeuten Dr. B. gegenüber sitzt, um seine Geschichte zu erzählen. Doch obwohl seine bedrückende Kindheit und er begangene Mord seine Seele und sein Hirn zu erdrücken scheinen, will Amerika nichts davon preisgeben. Nur schwer gelingt es ihm, sich Dr. B., der keine Wertungen vorgibt, anzuvertrauen. Zu berichten von der glücklichen Zeit bei seiner Pflegemutter Mrs. Harper, vom Missbrauch durch deren Onkel, von der missglückten Rückführung zu seiner leiblichen Mutter und von der Schuld, in die er sich verstrickt. Immer wieder werfen diese Erfahrungen sein Netz aus Misstrauen und Gewalt über den therapeutischen Prozess, in dem Amerika sich befindet und immer wieder scheint er abzurutschen dorthin, woher er kam. Wie schmal der Grat zwischen Gesundung und Scheitern ist wird nicht zuletzt an seinem Halbbruder Brooklyn gezeigt, dem der Drogenentzug misslingt.
Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit ist die Autorin E.R. Frank selbst Therapeutin. Sie gewährt einen tiefen Einblick in die Seele eines verletzten Jugendlichen und schildert Dr. B. als einen warmherzigen, reifen Therapeuten. Doch nie klingt ihr Erzählton klinisch und theoretisch. Sie setzt ganz auf die Kraft von Dialog und Monolog und verfolgt stringent die Handlung des Romans. So entsteht ein Psychogramm der Hoffnung und Mitmenschlichkeit, das Gefährdungen nicht ausblendet, sondern als Herausforderungen sieht.
„Ich bin Amerika“ ist ein literarischer Beitrag zum aktuellen Thema Kindeswohlgefährdung. Jugendliche werden es als spannenden Roman lesen, doch auch Studierenden aus dem sozialen Bereich sei er ans Herz gelegt. Aktives Zuhören oder Projektionen zwischen Patient und Therapeut werden realistisch abgebildet.