Diana Lehmann: Berlin. Plattenbau
Üblicherweise schrillen bei mir bei Eckdaten wie: Romandebüt, selbst verlegt, 376 Seiten die Alarmglocken. Auf „Berlin.Plattenbau“, den Roman einer Sozialarbeiterin aus Berlin-Marzahn treffen sie zwar zu, doch trifft kein Klischee darauf zu. Das schwarz/weiß gehaltene Cover könnte auch zu einem Krimi passen und ein wenig Krimi steckt auch im Roman von Diana Lehmann drin und wenn es nur die atemlose Spannung wäre, mit der ich ihn verschlungen habe.
Mittelpunkt der Geschichte ist die 15jährige Hellena Steffens, kurz Leni, die in Marzahn lebt. Ihr Vater ist kurz nach ihrer Geburt verunglückt, die Mutter seitdem alkoholabhängig. Sie hat drei weitere jüngere Kinder, um die sich eigentlich Leni kümmert. Nicht nur um deren Versorgung, sondern auch, sie vorm Stiefvater zu schützen. Die Sozialarbeiterin Ewa Degenhardt wird durch eine Lehrerin auf die Familie aufmerksam, doch Leni versteht nicht, dass Ewa ihr und ihren Geschwistern vielleicht helfen könnte und versucht die Katastrophen der Familie so gut wie möglich zu deckeln. Die spannenden Fragen, ob Leni das gelingt und ob Ewa Degenhardt der Jugendlichen und ihren Geschwistern einen Ausweg aus der kaputten Familie eröffnen kann, sind Stoff des Romans.
Der Klappentext beschreibt die Sozialarbeiterin als eher phlegmatisch, was ich so kaum herausgelesen habe. Vielleicht auch, weil Ewa Degenhardt Leni als einen „Herzensfall“ erlebt über den sie viel nachdenkt und sich mit ihrer Kollegin austauscht. Dass der Hund der Familie Steffens zu Beginn der Geschichte von Nachbarn übernommen wird, scheint fast wie ein Omen zu sein. Doch Nachbarn finden sich für drei bis vier Kinder, die das Schicksal zusammengeschweißt hat, natürlich nicht. Nicht einmal Plätze in Krisenunterkünften oder Pflegefamilien sind für das Paket leicht zu finden. Glück, dass zumindest auf Lenis familiärer Seite eine Ressource vorhanden ist: die Großeltern in der Schweiz.
Diana Lehmann nutzt alle erzählerischen und konstruktiven Mittel, um den Spannungsbogen der Geschichte über 376 Seiten zu halten. Sie wechselt zwischen der Sicht der Sozialarbeiterin und dem Kampf Lenis mit dem Alltag. Besonders spannend die Romanstrecke, in der es um die wie eine konzertierte Aktion geplante Inobhutnahme der Kinder geht. Diana Lehmann erzählt mit vielen Dialogen, teilweise auch im Berliner Slang oder in der Mundart Zugezogener, aber sie flicht auch den einen oder anderen Fachbegriff der Sozialpädagogik und Familienhilfe erklärend ein ohne lehrhaft zu wirken.
„Berlin.Plattenbau“ von Diana Lehmann ist vielleicht auch für alle, die sich für die Proteste der Jugendamtsmitarbeiter interessieren ein authentischer Roman, der zeigen kann, mit wie viel Schwierigkeiten sie in ihrer Arbeit zu tun haben. Hätten wir sie nicht, die „Trullas vom Jugendamt“, wie Leni sie manchmal abschätzig nennt, geriete das soziale Milieu nicht nur im Berliner Plattenbau, sondern in vielen Ballungszentren in absolute Schieflage. „Berlin.Plattenbau“ gibt’s als kindle-Version für 8,99 oder als Printausgabe für 16,66 Euro überwiegend bei großen Internet-Anbietern oder man sucht den Kontakt zur Autorin selbst. Unbedingt lesenswert, denn welche Sozialarbeiterin kann sich sonst die Zeit nehmen, um von ihrer Arbeit zu berichten?!