Christa Wolf: August
Die Autorin greift eine Person aus dem Ende ihres Buches „Kindheitsmuster“ von 1976 auf.
Das ist August aus der Nähe von Pilkallen, einer ostpreußischen Stadt.
August liegt schlafend in einem Flüchtlingszug, der aus dem Osten kommt.
Da geht ein Bombenangriff auf diesen Zug nieder. Eine fremde Frau zieht das Kind aus dem Zug hinaus auf die Böschung. Seine Mutter kam vermutlich bei dem Angriff ums Leben.
Nach dem Ende des Bombenhagels kommt die erste Bewährungsprobe für den 8-Jährigen: Als der Zugführer alle Lebenden aufruft, wieder einzusteigen, rafft sich August hoch und läuft allein die Böschung hinauf. Beim Einsteigen nimmt er noch den Anblick der liegen gebliebenen Toten in sich auf.
Über das Rote Kreuz und die Arztvisite kommt August in das als Krankenhaus umfunktionierte Schloss. Er ist nun “Waise“ mit einer entsprechenden Pappkarte um den Hals. Aber er ist sich sicher, Vater und Mutter leben und werden ihn solange suchen, bis sie ihn gefunden haben. Mit dieser Gewissheit ordnet er sich in der “Mottenburg“ mit den an Tuberkulose Erkrankten ein.
Christa Wolf schildert ebenso eindrucksvoll wie einfühlsam das Leben in der Mottenburg.
Es mangelt an allem: Heizung, Personal, Kleidung, Essen und Material. Aber jeder ist froh, ein Dach über dem Kopf zu haben und Schutz zu genießen.
Und dann gibt es da die 17jährige Lilo mit dem großen Herzen für die Kinder und alle Hilflosen. Lilo sieht alles, hilft überall, kann alles und kämpft um Recht, selbst, wenn es Krach mit der Oberschwester gibt.
August bewundert sie und klammert sich an sie. Sie ist für ihn Ersatzmutter (wobei sie ihre Zuwendung auch anderen zuteil werden lässt) und Schutzengel zugleich. Lilo singt mit den Kindern Schlaflieder vor dem „Gute- Nacht-Sagen“ zu jedem Kind. August ist nicht mal eifersüchtig – oder doch als Harry auftaucht?
Und Lilo kann Märchen erzählen- sie kennt alle auswendig. Lilo nimmt sogar im Labor Blut ab. Sie verbreitet gute Stimmung – nur nicht, als Gabi und Hannelörchen sterben. An diesem Abend singt sie keine Lieder und sitzt ganz still. August schleicht sich zu ihr und flüstert leise: „Bist du traurig?“ Ihre bejahende Antwort bringt sie ihm so nahe, wie noch nie.
Er spürt, die Gefühle Trauer und Glück können miteinander vermischt sein. Diese Erkenntnis wird ihn ein Leben lang begleiten.
Der erwachsene August konnte durch einen Zufall seinen Wunschberuf LKW-Fahrer erlernen. Als Busfahrer begleitet er bis zu seiner Berentung Senioren-Reisegruppen bis Prag und zurück.
Die Erzählung wirkt spannend durch die Rückblicke Augusts auf seine Entwicklung: Als Kind kannte er kein Heimweh, erinnert sich aber deutlich an das Elternhaus mit dem Holunderbusch an der Hauswand. Immer wieder taucht Lilo auf. Trude, seine früh verstorbene Frau, wusste ihn zuschätzen. Er sieht das zerstörte Dresden wieder aufgebaut und richtet sich in Marzahn ein
Am Ende seiner beruflichen Tätigkeit geht er allein in seine Wohnung.
Aber er ist nicht einsam. Sein Leben war trotz des schweren Schicksals reich und es bescherte ihm mit lieben Menschen wie Lilo und Trude Glück und Bedeutung.
Eine Meistererzählung liegt vor uns.