Zoran Drvenkar: Du
Nach 575 Seiten legt man den schwarzen Klopper erschöpft aus der Hand und denkt: Zoran Drvenkar hat es wieder mal geschafft! Er hat einen Thriller geschrieben, dessen Plot von vorn bis hinten durchdacht war, der keine Grausamkeit ausließ, bei dem hätte Vieles zu viel sein können und der dennoch nicht unglaubwürdig wirkt. Es ist ein Buch, das gegen jede Schreibregel verstößt (die Perspektive nicht zu häufig wechseln, „gute“ und „schlechte“ Gegenspieler aufbauen) und durch seine Radikalität fesselt.
In „Du“ gibt es keine „Guten“. Es gibt eine Mädchengang, die gerade die Schule abgeschlossen hat und in den Tag hinein leben könnte, wäre da nicht das Milieu eines ihrer Mitglieder, dessen Gefahr die Mädchen zu spät erahnen. Es gibt einen „Reisenden“, der Schlagzeilen macht, nicht als er seinen ersten Mord begeht, sondern nachdem er alle paar Jahre mordend durchs Land zieht, mal die Gäste eines Motels, mal ein einsames Dorf auslöscht. Und es gibt Nebenfiguren, deren persönliche, schmerzhafte Vergangenheit an diese Konstellation gebunden sind. Für sie gibt es keinen Ausweg: Nach dem gewaltsamen Tod des Vaters eines der Mädchen brechen sie in einer unberechenbaren Jagd auf nach einem Strandhotel in Ulvtannen in Norwegen. Was sich ihnen in den Weg stellt, verliert das Leben. Aber auch sie selbst entgehen ihrem Schicksal nicht. Und ihr Sehnsuchtsort Ulvtannen entpuppt sich als grausame Enttäuschung.
Der Hintergrund für den Plot ist unserer Realität entnommen: grausame Kindheitserfahrungen, organisierte Kriminalität und Drogenhandel. Südeuropäische Mythen werden kurz eingeflochten und ganz am Ende hat man das Gefühl als begegnet man in der Komposition einer gekonnten Wiederauferstehung Oscar Wildes „Bildnis des Dorian Gray“. Wer meinte, Zoran Drvenkars „Sorry“ ließ sich nicht toppen, der wird auch von „Du“ begeistert sein und wird sich auch „Der letzte Engel“ bestellen.