Michael Tsokos: Mit kalter Präzision
Bisher habe ich um Michael Tsokos immer einen Bogen gemacht. Doch seit „Mit kalter Präzision“ bin ich auch vom Tsokos-Virus angesteckt. Wahrscheinlich braucht man den 1967 in Kiel geborenen Professor für Rechtsmedizin niemandem mehr vorstellen. Seit 2007 leitet er die Berliner Rechtsmedizin, in der wahrscheinlich tausende von Leichen über seinen Tisch gingen. Viele Fälle konnten durch seine Hilfe aufgeklärt werden. Manche nur deshalb, weil er täglich neugierig ist und über den Tellerrand seiner Profession hinausschaut. Wahrscheinlich war es auch nur dadurch möglich, dass er manchmal das Skalpell gegen einen Kugelschreiber tauschte und die spannendsten Fälle aufschrieb. Zunächst im Umfang von Erzählungen, dann auch zusammen mit dem Thrillerautoren Fitzek und nun auch allein.
In „Mit kalter Präzision“ stellt er die asiatisch-deutsche Rechtsmedizinerin Dr. Sabine Yao in den Mittelpunkt. Sie wird mit der Untersuchung der Leiche der Frau des bekannten Berliner Schönheitschirurgen Roderich Kracht betraut. Der Fall soll möglichst schnell und ohne Aufsehen geklärt werden, denn unzählige Größen aus Politik und Wirtschaft ließen ihre Frauen von ihm behandeln und wollen nicht mit einem Mord in Verbindung gebracht werden. Zunächst hat Kracht ein wasserdichtes Alibi für die Tatzeit. Aber seitdem es smarthomes gibt, muss wohl die Todeszeitbestimmung, die seit fast einem Jahrhundert auf dieselbe Weise ermittelt wird, umgeschrieben werden. Dann tun sich weitere ungeklärte Fälle auf, die auch Kontakte zu Rodericht Kracht hatte. Und der erfolgreiche Arzt bekommt mehr und mehr den Stempel eines Soziopathen.
Die Handlung des Thrillers fiktionalisiert echte Kriminalfälle und rechtsmedizinische Untersuchungen. Natürlich sind die Namen der handelnden Personen verändert, um die Persönlichkeitsrechte zu wahren. Tsokos schreibt, um den Titel aufzugreifen, mit einer unglaublichen Präzision. Er lässt seine Leser teilhaben an den rechtsmedizinischen Vorgängen, ohne ins Fachlatein zu gleiten. Zum Ende hin gewinnt das Geschehen an Dramatik, was sich auch in der Kürze der Erzählabschnitte widerspiegelt.
Der Roman ist als Auftakt einer Reihe um die Rechtmedizinerin Dr. Sabine Yao beschrieben. Es bleibt zu hoffen, dass der nächste Band bald folgt.
„Mit kalter Präzision“ ist bei Knaur (ISBN: 978-3-426-52870-9) erschienen und kostet 16,99 Euro.