Gedichte

Lou You (1125-1210): Das Lied vom wild gewordenen Pinsel

Und tränke ich auch tausend Krüge Wein,
sie löschten diesen Brand im Herzen nicht.
Den Pinsel her! Mir ist die Welt zu klein.
Kreuz und quer mit flammendem Gesicht
male ich Zeichen hin, mir kaum bewusst
der Riesenkraft, die in mir tobt, geballt
wie Wolken, wie ein Sturm in meiner Brust –
So treibt zum Werk mich die Naturgewalt.
Verkrallt im Kampfe bäumen wutentbrannt
sich Drachen auf in blutigwildem Tanz.
Gebirge stürzen von Dämonenhand
zerschmettert; überdüstert lischt der Glanz
des Mondes. Hier im Tuschetrümmerfeld
hab ich verjagt den Kummer – endlich frei,
die Kehle nicht mehr zugeschnürt. Nichts hält
mich jetzt umkrallt. Ich brülle, singe, schrei,
zerhämmre mit der Faust mein Bett. Es fällt
die Kappe mir vom Kopf. Was kümmert’s mich!
Wo find ich nur Papier in dieser Welt,
das groß genug für meinen Pinselstrich?
Die Halle dort! – He, Pinsel! Nun zerwühl
die Wand! – Hoch! – Höher! Bis ins Dachgestühl!