Kristin Hannah: Die Nachtigall
Bei diesem Buch empfiehlt es sich vielleicht, die eine oder andere Rezension oder Kundenbewertung vorab zu lesen, bevor man vom ersten Blick auf den „Wälzer“ mit 604 Seiten erschlagen wird oder vermutet, dass das Thema „französischer Rèsistiance“, nicht unbedingt das eigene Interessengebiet betrifft. Überwiegend lassen sich trotzdem nur begeisterte Stimmen finden, denen auch ich mich anschließe.
In erster Linie liegt das an der eindrucksvollen Figurengestaltung des Romans „Die Nachtigall“. Im Mittelpunkt stehen zwei Schwestern, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Sie verlieren im frühen Jugendalter ihre Mutter und der Vater bringt sie in Internaten unter. Vianne, die ältere, fügt sich und baut sich bald eine eigene Familie auf, doch Isabelle wird in keinem Internat ertragen oder läuft selbst weg. Doch nicht wie erhofft, findet sie Unterstützung bei Vianne oder gar ihrem Vater, sie wird immer nur auf sich selbst verwiesen. Als der Krieg ausbricht und ihr Mann eingezogen wird, stellt Vianne vor ihrer Freundin Rachel fest: „Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll.“ Dass Isabelle das Auto der Familie manipuliert und einen geheimen Vorratsbunker anlegt, findet sie etwas übertrieben. Danach trennen sich ihre Wege, um sich nur kurz zu begegnen. Isabelle schließt sich deutlich dem französischen Widerstand an. Nachdem sie zunächst als einfacher Kurier arbeitet, vertraut man ihr die Rettung abgestürzter amerikanischer und englischer Piloten über die Pyrenäen an. Ihr Deckname ist „Nachtigall“.
Vianne kämpft derweil mit anderen Gefahren des Alltags. In ihr Haus wird ein deutscher Offizier einquartiert. Hauptmann Beck, der aber eine gewisse Sensibilität an den Tag legt und von dem die alleinstehende Mutter die eine oder andere Erleichterung erwarten darf. Als ihre Freundin Rachel ins KZ kommt, gelingt es ihr mit seiner Hilfe, ihren Sohn zu retten. Das wird unmerklich zum Auslöser für ihren eigenen Widerstand. Vianne versucht mit Hilfe des ansässigen Ordens, jüdische Kinder vor den Transporten zu verstecken. Doch Beck wird getötet und an seiner statt zieht Sturmbahnführer von Richter bei ihr ein, der misstrauische ist und sich nimmt, was ihm gefällt. Vianne missbraucht er, doch um ihre Kinder nicht zu gefährden, mag sie nichts sagen.
Hinter dem Roman steht die große Frage: Wie weit darf man gehen, um zu überleben? Wie kann man die schützen, die man liebt? Kristin Hannahs Verdienst ist es, dass sie zeigt, dass die Antworten auf diese Fragen nicht leicht sind. Dass sie nicht unüberlegt gegeben oder umgesetzt werden können. Aber dass welche Liebe auch immer ein großer Motor ist, um sich als Mensch zu erweisen. Die Kriegsgeschehnisse werden historisch korrekt platziert, aber gegenüber dem Weg der Familien halten sie sich erfreulich im Hintergrund und lassen die Charaktere mit ihren Emotionen sprechen. Möglicherweise ist es dadurch eher noch ein Buch für die Frauen, vor allem für jene, die gern den Weg zweier Schwestern verfolgen.
Im Nachwort aber erklärt die Autorin auch, dass es ihr wichtig war, die Taten von Frauen im Widerstand zu publizieren. „Die Nachtigall“ beruht nämlich auf einer wahren Begebenheit. Gerade das Wirken von Frauen im Hinterland kommt, so die Autorin, in der historischen Würdigung leider oft zu kurz. Darum hat sie ihren Roman auch in eine Rahmenhandlung eingebunden: In ein Treffen in Paris 1995, das den Frauen im Widerstand gewidmet war.
„Die Nachtigall“ von Kristin Hannah ist 2016 im Aufbau-Verlag für 19,99 Euro erschienen.