Katharina Winkler: Blauschmuck
Neugierig nehme ich dieses Buch in die Hand.
Blauschmuck ist der Schmuck, den in bestimmten muslimisch geprägten Ländern viele Männer ihren Frauen „schenken“. Sie tun das gewaltsam mit Hilfe von schmerzerzeugenden und verletzenden Gegenständen wie Holz, Eisen oder was sie gerade greifen können. Über diesen Schmuck wird nicht gesprochen. Man trägt ihn an allen Körperteilen – von Kopf über Hals, Armen bis zu den Füßen. Wer keinen hat, gehört nicht dazu.
Eine österreichische Journalistin, Katharina Winkler hat das Schicksal dieser gequälten und misshandelten Frauen beobachtet. In einer Lesung mit der Autorin zu diesem Buch erfahre ich mehr. Katharina Winkler hat Germanistik studiert. Dann ging sie in ein anatolisches Dorf und lebte dort mit den Menschen. Eine junge Frau hat sie besonders berührt – Filiz. Sie befreunden sich, die Autorin geht einfühlend mit Filiz um. Über ein Jahr bittet sie Filiz, von sich zu erzählen. Um sie nicht zu beschämen, lässt sie die junge Frau auf Tonbänder sprechen.
Eine Ansammlung von mehreren 100m Tonbändern liegt 10 Jahre bei der Autorin. Dann entschließt sie sich zu diesem Roman.
Es ist ein erschütterndes Zeugnis vom Leben der Frau in einem von starren Traditionen beherrschten Land.
Filiz lernt in ihrer Jugend Yunus kennen. Yunus will sie zur Frau. Ist es der Stolz, einen so gut aussehenden jungen Mann erobert zu haben, oder Liebe, oder nur Furcht vor Unbekanntem, die Filiz zu einer grenzenlosen Unterwürfigkeit zu diesem Menschen zwingt? Sie willigt in die Hochzeit ein, gegen den Willen ihres Vaters. Sie lässt sich entführen und zieht in das Haus von Yunus und seiner Mutter.
Die Zeit der Demütigung, Entwürdigung und Gewalttaten beginnt. Tägliche Prügel, Angst und Verachtung quälen die junge Frau. Die Schwiegermutter empfindet sie als „Spinne“ oder „schwarze Spinne“. Die Misshandlungen werden grausamer. Ab und zu, wenn Yunus sie wieder krankenhausreif geschlagen hat, sitzt er an ihrem Bett und heult. Und sie liebt ihn noch immer.
In dieser Ehe werden drei Kinder geboren.
Yunus kennt keine Grenzen in seiner Brutalität. Eines Tages hängt er Filiz auf. Nur die Spinne erscheint rechtzeitig.
Die Autorin wählt eine karge aber treffende Sprache und entwickelt große Spannung beim Leser.
Dieser Roman erinnert mich an das Buch „Tausend strahlende Sonnen“ von dem afghanischen Schriftsteller Khaled Hossaini. Hier beschreibt er zwei mit einem Mann verheiratete Frauen (im Islam möglich), die von diesem Mann in seiner jahrelangen Brutalität seelisch zum Mord an ihm getrieben werden.
Im Buch „ Blauschmuck“ nimmt das Schicksal der Hauptfigur – Filiz – einen anderen Verlauf.
Die Autorin spannt den Bogen des Martyriums von Filiz vom bisher Vernommenen über Flucht der Familie nach Österreich, neuen Demütigungen mit Prügeln und zertretener Seele. Bis zum Treffen einer Ärztin in dem Krankenhaus, in dem sie erneut als zusammengeschlagenes Stück Körper liegt. Hier hört sie das erste Mal vom Frauenhaus. Filiz begegnet neuen Menschen, die auf sie eingehen und ihr helfen. Sie beginnt neue Gedanken zu fassen und baut langsam ein Selbstbewusstsein auf.
Der Roman „Blauschmuck“ ist 2016 im Verlag Suhrkamp Berlin erschienen.