Belletristik

John Irving: Bis ich dich finde

John Irvings Romane lieben wir u.a. für ihre die wesentlichsten Bereiche der Persönlichkeitsentwicklung betreffenden Themen, ihren trockenen Humor und für ihre auf die Höhe getriebenen skurilen Episoden. Trotz aller abstrusen Fantasie haben wir schon bei „Garp“ gespürt: da ist ein Autor, der uns etwas von sich mitteilt. Wo sich Erfindung und Leben tatsächlich gekreuzt haben, blieb offen, aber wir haben gewusst: Das ist nicht einfach nur so daher geschrieben. Vielleicht haben wir, verliebt wie wir in Irvings Bücher sind, verfolgt, wie sich das über die Romane entwickelt hat. Immer wieder wuchsen Kinder ohne Väter auf, waren die Mütter übermächtig, ergab das die schmerzlichsten Entwicklungen in der Liebe. Im neuen John Irving: „Bis ich dich finde“ ist das alles genauso und doch ganz anders. Mit ungewöhnlich viel Offenheit begleitet Irving dieses Werk. So wie sein Held Jack Burns sei auch er auf der Suche nach seinem Vater gewesen, und mehr noch, habe er mit seiner Mutter nicht über den abwesenden Vater sprechen können. Und so wie auch Jack Burns sei auch er als Kind missbraucht worden. Manchmal geht es schief, wenn sich Autoren so direkt ihren tiefsten Verletzungen stellen und sie auch noch offen legen. Nicht so bei Irving. Man möchte fast meinen, er kann endlich seinen Gefühlen trauen und erlöst sich selbst durch dieses opus magnum.

Vielleicht kommt das daher, dass es ihm trotz aller Enttäuschung und allem Schmerz gelingt, neben diesen Erfahrungen auch die dem Leben Halt gebenden Beziehungen darzustellen. Wurde Jack Burns auch als Kind missbraucht, kennen sich seine Mutter und er kaum, gehen auch die Beziehungen in die Brüche – so ist da doch auch Freundschaft und beruflicher Erfolg. Und wer jemals daran gezweifelt hat, ob Mann und Frau Freunde sein können, der lese über Emma, die Jack seit seiner Schulzeit begleitet und ihm schließlich sogar die Bahn vom Schauspieler zum Schriftsteller eröffnet. Als sie viel zu früh, mit 40, stirbt, hat der Schauspieler keine Tränen Und obwohl er sich schon immer gefragt hat, was mit ihm sei, ist Emmas Tod der Anlass, sich diesen Fragen hartnäckiger zu stellen und auch unnachsichtiger gegen seine Mutter Alice zu werden. Was sich dadurch für ihn auftut, ist nicht unbedingt heilsam, doch es lässt Jack Burns wachsen.