Heinrich Dickerhoff: …und webte etwas, das niemals stirbt
Wer ein Märchenbuch liest, der weiß wie alt die Geschichten sind und der Autor und Herausgeber von Volksmärchen spielt für ihn als Leser meist nur eine untergeordnete Rolle. Das könnte sich ändern, wenn man Heinrich Dickerhoffs „…und webte etwas, das niemals stirbt“ in der Hand gehabt hat. Heinrich Dickerhoff ist Präsident der Europäischen Märchengesellschaft und hat in diesem Band keltische Märchen, Sagen und Mythen von großer Poetizität gesammelt. In seinem Vorwort verweist er ausdrücklich darauf, dass sie ihren Zauber nur durchs laute Lesen oder Erzählen entfalten – doch das ist der einzige Punkt, an dem er mit dem Buch irrt. Märchen enden so herrlich wie: „…Nur Feier und Freude war der Tag, an dem sie einander Treue gelobten. Und Tadhg sagte später, die Sonne sei an diesem Morgen eine Stunde früher aufgegangen und am Abend eine Stunde länger am Himmel geblieben vor lauter Glück.“ Nicht nur die einfache und lyrische Sprache fasziniert an dem Band, sondern auch die Zusammenstellung. Sie ist gedacht für den reiferen Märchenfreund oder den Märchenerzähler, aber es wird bedacht, dass er seine Kunst auch jüngerem Publikum vorträgt. So steht die keltische Variante von „Schneewittchen“ – „Goldbaum und Silberbaum“ neben Schauergeschichten wie der „Von dem Burschen, der keine Geschichte wusste“ oder Verführungsgeschichten wie der vom Feenritter Tam Lin. Außer dem Vorwort zu unserer abendländisch-keltischen Tradition führt Dickerhoff jedes Märchen kurz ein, verweist auf Kernpunkte, geeignete Zuhörerrunde oder erzähltechnisches Instrumentarium. Gerade von Letztgenanntem könnten auch Lehrer für den Literaturunterricht profitieren. In einem kurzen „Nach-gedacht“ lässt Dickerhoff eine nie überstrapazierte Interpretation anklingen, die immer mit einem ganz persönlichen Bekenntnis zum jeweiligen Märchenhelden, zur Moral der Geschichte oder ihren Nebenfiguren ausklingt. Mit seinem weiten Märchenverständnis und den einfachen Worten gelingt es ihm dabei immer, den Leser, den er bereits mit seiner Erzählfassung für sich eingenommen hat, für seine Sicht der Geschichte zu gewinnen und die Welterfahrung des Märchens zu verdeutlichen. „…Und webte etwas, das niemals stirbt“ ist in der handlich gecoverten Reihe „Königsfurt Märchenschätze“ erschienen.