Belletristik

Erhard H. Bellermann: Über Stock und Stein und die Welt

Die Lautung des Titels ist sprachkünstlerisches Programm an sich, hier: Wortspiel, Einbau einer Redewendung und Zusammenschluss zweier Wortverwendungsweisen bzw. Wortbedeutungen in einem Satz(torso). Solcherart Kopplung mit den entsprechenden Rezeptionseffekten beim Leser/Hörer erfolgt bei den Dutzenden Sinnsprüchen in diesem Büchlein auch mit weiteren Stilmitteln, die einen treffsicheren Aphorismus oder andersartigen Kürzesttext auszeichnen. Davon sind vor allem Antithese, Doppeldeutigkeit und Paradoxie zu nennen. Dabei erweist sich der Autor als Meister der ironischen Lakonie: Was nicht glückt, pecht. Knöpfe in der Kollekte? Gott vergelds. Was nicht geht, sollte man fahren lassen. Immer siegt keiner.

Die lapidare Kürze bzw. der Verzicht auf jegliche Redundanz, auch wenn sie hilfreich wäre, haftet an fast allen Sinnsprüchen wie auch an seinen gereimten Zweizeilern, ein in der deutschen Satire- und Humorliteratur selten durchgängiges Phänomen. Auch die Sinn- bzw. Sachgedichte und die kurzen Prosatexte, weitere Bestandteile des Titels, tragen diese Prägung.

Im bunten Kaleidoskop seiner Zielabsichten lässt der Autor schon mal seine soziale Ader anschwellen (Die Einen verdienen mehrstellig, die Anderen arbeiten mehrstellig – Es hat der Mensch sich unverdrossen/vom Paradiese ausgeschlossen./Den Armen fehlt das liebe Geld,/den Reichen fehlt die ganze Welt), teilt ordentlich Seitenhiebe aus (Die in Geld schwimmen, tauchen gern unter – Es gibt die Exakten,/die immer Intakten,/die Übergenauen,/die Superschlauen./Nun dürft ihr raten:/Meist sinds Bürokraten – Treffsicher auch das dreistrophige Gedicht auf S.99), lotet die Macht der Dummheit aus (Auch Schwachsinn kann mächtig sein), schaut in die nahe Zukunft (Was man heute kann entsorgen, das vermissen wir bald morgen), gibt den moralisierenden Kritikaster (Die Schlechtes noch loben, sitzen meist oben – Die Liebe muss ein Schnäppchen sein,/denn Viele fallen darauf rein – Die Erfindung neuer Steuern/unser Leben zwar verteuern,/doch das Geld wird nicht vernichtet,/sondern einfach umgeschichtet./Dabei zeigt sich eine Sicht:/Geld schwimmt auf der Oberschicht), philosophiert bodenständig (Arme werden nicht reicher, wenn man ihnen nur Gehör schenkt), schießt mit Vorliebe seine Doppelpfeile ab (Alles versteuert. Kein Wunder, dass Vieles falsch ankommt), fordert des Lesers Mitnachdenken heraus (Für Zankäpfel ist immer Erntezeit), so dass sich der Leser selber oder in seinem Umfeld wiederfindet.

Das Buch hat mehrere Vorgänger ähnlicher Machart, dürfte aber das in Thematik und Form gelungenste Buch des Verfassers sein. Auf jeden Fall ist es das leserfreundlichste: Klar die Ansage in Untertitelung und Inhaltsverzeichnis; deutlich strukturiert jede einzelne Buchseite, so dass die Fasslichkeit – bei vielen anderen Multitexteditionen zu gering – keine Probleme birgt und durch die herausragende schriftgrafische Gestaltung optimal wird. Die jedem der Kapitel vorangestellten Schwarz-Weiß-Fotos des Autors haben treffenden Symbolcharakter.

Wenn überhaupt von Schwachstellen zu reden ist (wie über einige Taktstolperer in der Verszeile und die auffallende Liebe des Autors zu den modifizierenden Wörtchen „oft“ und „meistens“), fragt sich immer, ob sie ein anderes Leserindividuum auch als solche empfindet.

Neben den Prosatextformen bietet Bellermann „Gedichte“ – der heute übliche Sammelbegriff von Text in Endreim, Takt und Vers ist gemeint -, die alles andere als subjektiv-entrückte oder gefühlsbetonte Lyrik sind. Sondern lebensnahe, feinsinnige Satire.