Regine Littig

Malen ist das Atmen der Seele.

  • aufgewachsen und wohnhaft in einer württembergischen Kreisstadt
  • Jahrgang 1969
  • ledig
  • Studium der Romanistik und Anglistik/Amerikanistik in Stuttgart (1987–1996) mit Schwerpunkt Literaturwissenschaft
  • Promotion über die Tragödien Jean Racines (2000)
  • Zusatzstudium der Bibliothekswissenschaft: 2001-2002 als Fernstudium mit Präsenzzeiten, nach zwei Semestern Studienabbruch
  • Veröffentlichung literaturwissenschaftlicher Aufsätze zu Racine, Diderot und La Mothe Le Vayer
  • Lehrbeauftragte für Deutsch an der Universität Limoges (2004)
  • im Moment Pflegeperson für die gebrechliche Mutter
  • Habilitationsprojekt über Montaigne und die Tradition der Skepsis
  • Dass ich weder ins Lehramt noch in den Wissenschaftlichen Bibliotheksdienst gegangen bin, die beide nicht meinen Neigungen entsprachen, trug mir Konflikte mit meiner Familie ein, die ich schreibend verarbeitet habe
  • Schreibe seit meiner Schulzeit, aus Rücksicht auf meine Familie unter Pseudonym

 

Gedanken zum Älterwerden

Wo sind die Jahre?
Sie sind uns enteilt.
Wo sind die Freunde?
Sie leben verteilt.
Wo ist die Form, wo die Figur?
Voran schreiten die Zeiten
Und man sieht ihre Spur.
Wo blieben die Haare,
schon  schütter und grau?
Wo blieben die Jahre?
Ich weiß nicht genau.

 

Haiku

Blüten des Frühlings –
Erstarrt in Kälte und Schnee
Kaum dass sie erblüht.

 

Abschied von der Blütenpracht

Seht nur, jetzt schneit es wieder !
Doch wurde es nicht wieder kalt.
Nur Blüten sind’s, sie fallen, schweben, sinken nieder
Und liegen wie ein wundersamer Teppich
Bunt und weich über dem Asphalt.

 

Herbstastern

Die bleichen Sterne der späten Astern
mehrten sich von Tag zu Tag .
Doch kaum erblüht
fiel Regen
und sie sanken
auf die schwere Erde.
Noch grün verwesen sie.

 

Im Dunkeln singen

Im Dunkeln schon singen vor jedem Schein der Dämmerung die zeitigen Vögel,
die das Morgengrauen schon begrüßen wenn es noch tief ruht im Schoße der Nacht.
Hoffnungsboten sind es, die im Dunkeln schon zwitschern und singen, lange vor Sonnenaufgang. Die jeden Morgen neu im Dunkeln das Lied der Hoffnung anstimmen und uns ein Beispiel des Vertrauens geben, bevor wir noch recht erwacht sind – und es uns dämmert, dass wir nicht den Vögeln gleichen, die jeden Morgen neu jubilierend die Botschaft der Hoffnung verkünden. Eher gleichen wir denen, die im dunkeln Wald singen und pfeifen, in dem sie sich verlaufen, sich verloren haben, laut ansingend gegen die eigene Angst.

 

Das krumme Holz

Lasst sein, ihr seht, ich bin nur krummes Holz !
Dies’ Stammes Knollen lassen sich nicht glätten.
Ihr liebt doch die Natur und wollt die Bäume retten
Lasst mich dann stehen, aufrecht, heil und stolz !

Ihr könnt mich nicht gebrauchen – mein Glück – doch was soll’s.
Ihr stutzt doch jeden Ast, zwängt Bäche in die Betten,
Biegt alles, bis es passt, pflanzt Blumen in Rosetten:
Mich biegt ihr nicht zurecht, ich bin ein krummes Holz !

Doch zwäng ich die Gedanken ein in den Sonetten
Dort, wo, was überquillt, gebändigt wird wie in Korsetten
Worin gepresst wird, was nicht passt, bis es sich fügt.

Der Geist des Aufruhrs liegt hier nun in Ketten
Wie einst Prometheus. Macht ihn wer los um ihn zu retten ?
Es herrscht nun Ruhe. Doch wie ist es wenn sie trügt ?

——

Ich kann mich selbst nicht schützen
In dieser argen Welt
Auf wen kann man sich stützen ?
Wer hält den, der da fällt ?

Du kannst dich nicht bewahren
In dieser argen Welt
Kein Mensch kann sich ersparen
Dass, wer da läuft, auch fällt.

Kein Mensch kann selbst sich schützen
In dieser schlimmen Welt
Er wird uns nur das nützen:
Dass einer den andern hält.

 

Ein Morgen in Rom

Im ersten Licht des Morgens ist die Luft vielstimmig vielschwingig erfüllt von den Mauerseglern, deren Kreisen und hohe Schreie das schwarze Meer der Nacht vertreiben wie einst der Rabe Noahs mit seinem Hin- und Herfliegen die Sintflut zurückdrängte – noch vor der Botin Taube. Doch mit dem Tag kommt eine andere Flut: die der Geräusche vorbeigehender Passanten, knatternder Motorräder und Autos.

Mauersegler kreisen über Marmor und Moder bröckelnder Fassaden – ein Felsenmeer von Menschenhand. Das Grün hat sich in Tonkrüge geflüchtet, die auf schmiedeeisernen Balkonbrüstungen gehegt werden und die oft nur ein Draht sichert vor dem Fall.

Schon sind in den Nischen der Dächer die Tauben erwacht. Respektlos und ruhig laufen sie zwischen den Füßen der Eilenden, fangen Tropfen von Strahl berühmter Brunnen und geben den steinernen Flussgöttern eins aufs Haupt.

 

Einige triviale Einsichten über das Schreiben

Gedichte schreiben heißt mit der Sprache spielen. Dieses Spiel ist jedoch nicht ziellos; wie ein Rätsel oder Puzzle ist eine Gedicht eine Aufgabe, die nach einer Lösung strebt.

Ein Gedicht hat seine eigenen Gesetze, die außerhalb des Autors liegen und denen sich dieser unterordnen muss. Gedichte schreiben ist Disziplinierung, nicht Gefühlserguss.

In einem guten Gedicht ist (theoretisch) nichts Zufall, sondern alles notwendig, fast wie in einer mathematischen Gleichung.

Exaktheit in der Beobachtung wie in der Wiedergabe ist nicht nur eine Tugend des Naturwissenschaftlers, sondern auch des Lyrikers.

Gedichte schreiben heißt für mich Streben nach geformter Sprache, ohne den Anhalt an der Realität zu verlieren. „Geformte Sprache“ bedeutet nicht notwendig eine bestimmte Versform oder gar Reimstruktur, die in modernen Gedichten ohnehin meist abwesend sind. Sie bedeutet nicht einmal eine ‚Gedichtform’ in dem Sinne, dass nicht bis zum Rand geschrieben wird. Das Prosagedicht kennt eine lyrische Sprache ganz ohne lyrische Form.

Die Texte „Im Dunkeln singen“ und „Ein Morgen in Rom“ entstanden zunächst in „herkömmlicher“ Gedichtform, d.h. mit den Zäsuren der bewusst gesetzten Zeilenenden. Später bemerkte ich jedoch, dass diese überflüssig waren, und schrieb sie zu Prosagedichten um.

Zahlreiche Dinge in meinen Gedichten sind oder werden Symbole für eine innere Realität.

Ich liebe die Symbolisten, insbesondere die französischen. Ich verehre Baudelaire und schätze Rilke, werde mich jedoch hüten, sie nachahmen zu wollen.

Mich selbst sehe ich nicht als Anhängerin irgendeines –ismus, sondern ich schreibe, wie ich denke und empfinde. Vermutlich bin ich jedoch symbolistisch beeinflusst.

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Gedichte schreiben ist für mich auch ein Versuch, persönliche Probleme zu bewältigen. Wer keine Probleme hat, hat möglicherweise auch nichts zu sagen.

Wer immer nur von sich und seinen Problemen redet, gilt in der realen Welt rasch als Langweiler und nervt. In der Literatur hingegen werden nicht wenige Autoren eben deshalb gelesen, weil sie von sich selbst und von ihren Problemen geschrieben und dabei zugleich einer überindividuellen Realität gültigen Ausdruck verliehen haben.

Die amerikanischen confessional poets der 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, v. a. Sylvia Plath, Elizabeth Bishop und Theodore Roethke, redeten in ihrer Lyrik trotz mancher Dunkelheiten (namentlich bei Plath) in bisher unbekannter Offenheit von ihren Problemen, unter Bruch gesellschaftlicher Tabus, denen weibliche Rollenkonflikte, psychische Krankheit und Suizidversuche (Plath), Verlusterfahrungen (Bishop) oder Alkoholsucht (Roethke) unterlagen und unterliegen. Ich bewundere ihre Texte wie ihren Mut.

Man muss das Leiden, die Ängste und der inneren Verletzungen in Bilder fassen und mehr oder weniger durchsichtig verschlüsseln, um Kunst zu produzieren. Alles andere ist nur für die Couch des Psychiaters interessant.

Alle Rechte für die vorstehenden Texte liegen bei der Autorin selbst.