Elisabeth Herrmann: Versunkene Gräber
Waren es drei oder waren es fünf Jahre, die Elisabeth Herrmann ihren Anwalt Joachim Vernau in den „einstweiligen Ruhestand“ versetzt hat? Nun jedenfalls hat sie ihn wieder ins Rennen geschickt, in einen Krimi der Extra-Klasse, der unbedingt an ihren Erfolg und die Bedeutung des „Kindermädchens“ anknüpft.
Vernau hat seine ehemalige Partnerin Marie-Louise etwa zwei Jahre nicht gesehen. Da erkundigen sich gleich mehrere nach ihr: eine polnische Anwältin, und was noch bedenklicher ist, der Kriminalist Vaasenburg, der Vernau mitteilt, Marie sei in einen Mordfall in Polen verwickelt. Auch wenn Vernau weiß, dass Marie viel zuzutrauen ist – ein Mord doch sicher nicht. Schwer verletzt entführt er selbst Marie aus einem polnischen Krankenhaus und beginnt mit ihr, den inzwischen drei Morden nachzugehen. Sie hängen mit dem sich wieder neu entwickelnden Weingut in Janekpolana und der polnisch-deutschen Geschichte des zweiten Weltkriegs zusammen. In Janekpolana wurden ursprünglich Zwangsausgesiedelte (Deutsche) sesshaft und begannen sich ein neues Leben aufzubauen, das der Krieg jäh zerstörte. Nach 1945 übernahmen Polen das Gebiet, hatten aber trotz der politischen Vereinbarungen Furcht davor, die Vertriebenen könnten Rechte geltend machen, was spätestens nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung genährt wurde. Auf dem Friedhof von Janekpolana wird zur Handlungszeit des Romans der glücklose, illegitime Sohn einer reichen Industriellenfamilie ermordet aufgefunden. Was hatte er auf dem Friedhof und dem angrenzenden Weingut zu suchen? War es der neue Weingutbesitzer Jacek, Freund von Marie-Louise, oder gar sein alter Vater, der ihn umbrachte? Warum verunglücken etwa zeitgleich sein alter Vater in einer noblen Seniorenresidenz sowie seine allseits beliebte polnische Pflegerin Krystina? Licht ins Dunkel können vielleicht die Liebesbriefe bringen, die der ehemalige Weingutbesitzer und Großvater bis in die Stunden vor seinen Tod an seine Familie in dem Versteck im Weingut 1945 geschrieben hat.
Ohne Zweifel, Elisabeth Herrmann hat einen Krimi geschrieben, der wie seine beiden Vorläufer nach einer Verfilmung schreit. Vielleicht sind es aber nicht nur ihr Gespür für geschichtsträchtige brisante Konstellationen, ihre hinreißende Figurengestaltung, die dieses Buch erneut so spannend macht. Vielleicht steckt auch ein Stück der längst vergessenen Kunstform Novelle in diesem Krimi. Diese „unerhörte Neuigkeit“, die sich gern auch festhält an Dingen wie den Liebesbriefen und der „Hochzeitskiste“ aus dem Hagen-Besitz, die der letzte Hagen bis zu seinem Tod 1945 auf seinem eigenem Hof versteckt hält. Große Meisterschaft beweist die Autorin auch mit der Gestaltung des Endes. Wo andere manchmal über das Ende ihres Textes hinausschreiben, kann sie den Krimi auflösen, einen letzten Brief mit einer fast schon Menschheitsvision anfügen und sogar noch eine Art Epilog 5 Monate nach der Handlungszeit anhängen, ohne dass man das Gefühl hat, hier wird etwas künstlich hinausgezögert. Unser deutliches Fazit: Respekt!
„Versunkene Gräber“ ist als Goldmann-Taschenbuch erschienen und für 9,99 Euro im Buchhandel erhältlich.