Belletristik

Akif Pirinçci: Der eine ist stumm, der andere ein Blinder

Kriminalisten sagen, Verbrechen an Kindern gehören zu den belastendsten Fällen der Polizei. Unter dieser Voraussetzung ist es kein Wunder, dass ein Autor, der sein Handwerk in der Filmindustrie gelernt hat, zu diesem Thema einen Thriller schreibt, der jedem unter die Haut gehen muss.

Im Umkreis von etwa 100 Kilometern verschwinden innerhalb einiger Monate 12 Kinder, zwischen denen es keine Zusammenhänge zu geben scheint. Die eingerichtete Sonderkommission jedenfalls ist so ratlos, dass ihr Leiter Weinstein seine letzte Reserve aktiviert: Er zieht den seit acht Monaten in einer Klinik für Alkoholkranke eingewiesenen Profiler Richard Claudius hinzu. Neben der Sonderkommission soll er mit einem jungen Lackaffen, Hugh (Hugo Hoffer), versuchen, den Fall aufzuklären. Grotesker könnte die Einstiegssituation nicht sein: Hugh erwartet in nagelneuem Mercedes und weichen Lederschuhen für 380 Euro eine sagenumwitterte Legende, die in einem alten Fischgrätenmantel die Irrenanstalt verlässt.

Am Gipfel der Ratlosigkeit taucht die erste Kinderleiche auf. Sie zeigt, dass der Junge noch bis vor kurzem gelebt hat und lässt die Hoffnung wachsen, dass die noch vermissten Kinder ebenfalls noch am Leben sind. Doch die Spuren, die an der Leiche zu finden sind, sind gering. Wieder und wieder müssen bereits bekannte Fakten und Zusammenhänge durchgekaut werden bis eine zweite Kinderleiche auftaucht, die einige Spuren mehr aufweist.

Richard Claudius arbeitet trotz der angehäuften Akten akribisch alle Einzelheiten zu den verschwundenen Kindern auf. Sehen sie sich nicht irgendwie ähnlich. Stammen sie alle aus hoffnungslos mit Problemen der Unterschicht überforderten Familien?

Zeitgleich und eher zufällig taucht der spielsüchtige Hugh in ein merkwürdiges Internettagebuch ein, das einen erschreckenden religiösen Sexkult offenbart. Je weiter Hugh sich da hinein begibt, umso mehr Verbindungen zum vorliegenden Fall scheinen sich aufzutun.

Akif Pirinçci erzählt eine verstörende Variante des Rattenfängers zu Hameln, der im Buchtitel „Der eine ist stumm, der andere ein Blinder“ zitiert wird. Auch Krimileser, die Pornoszenen ablehnen, werden dieses Buch nicht aus der Hand legen können, bevor die beiden Hauptakteure den Fall nicht gelöst haben. Nicht nur die überraschenden Wendungen im Fall selbst tragen dazu bei, sondern auch die Annäherung der beiden so verschieden geratenen Ermittler, die ein merkwürdiges Vater-Sohn-Verhältnis aufbauen, das schließlich abrupt beendet wird.

Vor mehr als 10 Jahren hat sich Akif Pirinçci durch die Felidae-Romane einen Namen gemacht, den er mit seinen folgenden Büchern kontinuierlich ausgebaut hat. „Der eine ist stumm, der andere ein Blinder“ ist ebenfalls bereits ausgezeichnet.